Die Venusfliegenfalle schnappt wieder zu

Wiedersehen mit einer alten Bekannten, die schon beim ersten Wissenschaftsball 2015 die Tische schmückte: die Venusfliegenfalle.

Von außen sieht sie harmlos aus. Zart, fast unschuldig. Wie ein Blatt mit Zahnspange, ein Alienlächeln in Grün. Aber wehe, jemand ist unvorsichtig. Dann klackt es. Dann klappt sie zu. Und während man noch staunt, hat sie schon zugeschnappt – zack, Spiel vorbei. Die Venusfliegenfalle, botanisch korrekt Dionaea muscipula, ist Pflanze und Jägerin, Zierde und Killerin zugleich. Und, wie der Zufall es will, heuer auch (wieder) Tischschmuck beim Wiener Ball der Wissenschaften.

Überraschung: Diese Pflanze zählt. Nein, sie addiert nicht, aber sie kann Berührungen registrieren und speichern. Und das auf einem Level, das für ein Leben ohne Gehirn durchaus bemerkenswert ist. Auf der Innenseite ihrer Blattklappen sitzen feine Härchen, sogenannte Triggerhaare. Berührt etwas eines dieser Haare, passiert erst mal – nichts. Es könnte ja nur ein Regentropfen sein, der zufällig vorbeiplätschert. Doch beim zweiten Kontakt – ob am selben Haar oder an einem Nachbarhaar – schnappt die Falle zu. Zack, innerhalb von Sekundenbruchteilen.

Die Venusfliegenfalle könnte für eine Evolution in ihrer kreativsten Form stehen: Energie sparen, bis es sich wirklich lohnt. Denn Energie ist knapp, wenn man, wie Dionaea, in nährstoffarmen Sumpfböden lebt. Ihre Heimat, die subtropischen Sümpfe der beiden amerikanischen Carolinas, bietet wenig Stickstoff – also hat sie sich den Stickstoff kurzerhand einverleibt. Aus Fliegen. Aus Käfern. Manchmal auch aus kleinen Spinnen. Doch Dionaea wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht wählerisch wäre. Das Zuklappen ist nur der Auftakt. Bewegt sich das gefangene Objekt nicht weiter – kein Gezappel, keine Chance auf Dinner –, öffnet sie sich wieder, quasi mit einem pflanzlichen Achselzucken. Ist das Opfer jedoch lebendig, zählt die Pflanze noch ein paar Mal nach: Fünf Berührungen bedeuten: „Ja, dieser Snack lohnt sich.“ Erst dann startet die Verdauung – ein Prozess, der bis zu zehn Tage dauert. Die Frage, wie ein Wesen ohne Nervensystem überhaupt Informationen speichert, führt mitten hinein in die Abgründe der Elektrobiologie. Jede Berührung löst in der Venusfliegenfalle eine Art elektrisches Signal aus, vergleichbar mit den Aktionspotenzialen in tierischen Nervenzellen. Die gespeicherte Information bleibt rund 20 Sekunden lang abrufbar – genug Zeit, um sich über den nächsten Schritt klar zu werden.

Die Venusfliegenfallen auf den Tischen des Wiener Balls der Wissenschaften sind reine Zuschauerinnen. Niemand muss fürchten, dass man selbst plötzlich zum Mitternachtssnack wird. Doch die Botschaft ist klar: Respekt. Vor der Natur, vor ihrer Zerbrechlichkeit und gleichzeitig vor ihrer unglaublichen Anpassungsfähigkeit. Wer sich die Zeit nimmt, die Venusfliegenfalle still zu beobachten, wird eine Lektion in Geduld und Präzision erhalten. Und wer weiß – vielleicht wird diese unscheinbare Tischdekoration zur Metapher für mehr. Für das Wunder in den kleinen Dingen. Und für die Frage, wer hier eigentlich wen beobachtet.